Inzell – Rekordmeisterin Claudia Pechstein ist locker zu ihren Titeln 38 und 39 gestürmt, doch viel mehr Aufmerksamkeit genoss die 47 Jahre alte Eisschnelllauf-Olympiasiegerin mit ihrem Vorstoß zum vakanten Präsidentenamt.
Nach dem überraschenden Rückzug von Präsidentin Stefanie Teeuwen wegen «Anfeindungen auf persönlicher Ebene» und fehlenden Rückhalts im Verband brachte Pechstein am Wochenende in Inzell ihren Lebensgefährten Matthias Große als Nachfolger ins Gespräch. Der von ihr oft als Bodyguard und Mentalcoach bezeichnete Immobilien-Unternehmer aus Berlin bekräftigte umgehend seinen Führungsanspruch.
«Der Verband hat so viele Verbindlichkeiten. Die leben wie die Fürsten und haben gar kein Geld», sagte Große der Deutschen Presse-Agentur. «Es gibt keine Strategie. So geht es nicht weiter. Ich würde alles durchrütteln», fügte er hinzu. Im ZDF-Interview untermauerte er seine Linie: «Warum soll nicht ein Unternehmer, der erfolgreich ist, in der Lage sein, einen Verband zu sanieren?», sagte er. Seine erste Amtshandlung wäre das Einsetzen eines Wirtschaftsprüfers, der die Finanzen ordnet. Nach dem Rückzug des Hauptsponsors (DKV) ist eine Finanzlücke entstanden, die Schatzmeister Dieter Wallisch auf derzeit 400 000 Euro bezifferte.
Zudem warfen Pechstein und Große nach dem Dauer-Knatsch mit Cheftrainer Erik Bouwman die Frage auf, ob man in Deutschland niederländische Trainer brauche. «Müssen wir fünf- oder sechsstellige Summen ausgeben für diese Trainer, wenn wir selbst in Deutschland Olympiasieger haben, die das genau so gut machen würden», fragte Große. Während sein angestrebter «rigoroser Neuanfang» in der DESG-Führung heftig umstritten ist, lehnte sich Ex-Präsident Gerd Heinze nach Großes Bewerbungsrede weit aus dem Fenster: «Ein klares Angebot an die Mitglieder, klare Vorstellungen», erklärte er.
Mit Teeuwens Rücktritt geriet der sportliche Aspekt der Titelkämpfe ins Hintertreffen, obwohl junge Sportler Fortschritte nachwiesen. Dennoch sei der «Rückstand zur Weltspitze weiter groß», analysierte Bundestrainer Bouwman. So ruhen die größten Hoffnungen für die am kommenden Freitag in Minsk beginnende Weltcup-Saison neben Pechstein weiter auf den Etablierten wie Patrick Beckert, der sich über 5000 und 10 000 Meter seine Titel 21 und 22 holte, sowie den Sprint-Champions Nico Ihle (1000 Meter) und Joel Dufter (500 Meter).
Pechstein durfte sich nach 3000-Meter-Gold zum Auftakt über den bislang kuriosesten Meistertitel ihrer langen Karriere freuen. Über 5000 Meter lag sie beim erstmals international ausgeschriebenen Titelkampf in 7:10,07 Minuten fast zehn Sekunden hinter der Tschechin Martina Sablikova. Da aber Roxanne Dufter und Michelle Uhrig kurz zuvor abgemeldet hatten, wurde sie als Meisterin bestätigt, obwohl sie niemanden besiegt hatte.
«Dass sich keine der Konkurrentinnen gestellt hat, dafür kann ich nichts», sagte die Rekordmeisterin und lief jubelnd Arm in Arm mit ihrer Freundin Sablikova auf der Ehrenrunde. «Das Reglement lässt uns diesen Interpretationsspielraum bei der Titelvergabe», erklärte Sportdirektor Matthias Kulik zu der bizarren Situation.
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(dpa)