Garmisch-Partenkirchen – Außergewöhnliche Triumphe verlangen nach besonderem Jubel. Also unterbrach Lindsey Vonn nach der Abfahrt von Garmisch-Partenkirchen ihre Siegerinterviews, stürmte aus dem Zielbereich und ließ sich von einer wilden Gaudi-Kapelle aus der Schweiz feiern.
Inmitten Dutzender verkleideter Musikanten sprang und tanzte die Amerikanerin bei Eiseskälte zu Blasmusik und Getrommle über den Schnee, ganz so als habe sie dieser nächste Weltcup-Sieg von einer zentnerschweren Last befreit. Und vielleicht war es auch so.
Lindsey Vonn ist als Glamourgirl der alpinen Skiwelt mal wieder zur Hauptdarstellerin eines Speed-Rennens geworden. Auf der berühmten Kandahar-Piste feierte sie ihren 77. Weltcuperfolg, zur Rekordmarke des Schweden Ingemar Stenmark fehlen nun nur noch neun Siege. Die 32-Jährige gewann vor Lara Gut aus der Schweiz und der Deutschen Viktoria Rebensburg. Die in diesem Winter bislang in drei Abfahrten erfolgreiche Ilka Stuhec aus Slowenien war mehr als eine Sekunde langsamer als Vonn. Aber Zahlen interessierten diesmal nicht.
Für die viermalige Weltcup-Gesamtsiegerin war der Erfolg die famos schnelle Rückkehr auf den obersten Podestplatz nach elfmonatiger Verletzungspause. Garmisch war erst ihr zweites Rennen beim Comeback. «Das ist unglaublich», stammelte sie und schien verblüfft. Nach ihrer Zieldurchfahrt war sie jubelnd in den Schnee gesackt, ehe ihr Tränen in die Augen schossen und sie noch Minuten später heftig schluchzend Betreuer, Kolleginnen und ihren Vater Alan umarmte.
Vonn hat schon etliche Siege hinter sich und auch viele Rückschläge sowie Comebacks. «Aber diese Verletzung war mental die schwerste», berichtete sie. Im November war sie im Aufbautraining nach einer Knieblessur gestürzt und hatte sich den rechten Oberarmknochen gebrochen. Nervenbahnen waren verletzt. Nach der Operation konnte die Sportlerin ihre Finger kaum bewegen. Bei ihrem ersten Rennen am vorigen Wochenende in Zauchensee landete sie nur auf dem 13. Platz.
«Es war schwer, den Mut zu finden», sagte sie über die Vorbereitung auf Garmisch. «Jeder vergisst, wie viel Zeit und Energie, wie viel Blut, Schweiß und Tränen es braucht, um ohne Training zurückzukommen und es einfach zu wagen.» Seit September habe sie «nur drei, vier» Trainingsläufe auf einer Abfahrtstrecke bestritten.
Für die Rivalinnen ist das Ergebnis angesichts dieser Vorgeschichte alarmierend – eine Vonn in Normalform scheint kaum zu schlagen. Und bis zur WM in St. Moritz hat sie noch mehr als zwei Wochen Zeit zum Trainieren. «Das ist schon beeindruckend, weil sie vom Gefühl her noch nicht am Limit fährt», sagte Rebensburg. Der deutsche Alpinchef Wolfgang Maier meinte: «Die anderen Rennfahrerinnen müssen sich schon fragen, wie es sein kann, dass jemand, der ein Jahr lang nicht fährt, nur zwei Rennen bestreitet und wieder gewinnt. Das zeugt von einer Klasse, die nur ganz wenige haben. Die Frau ist schon eine Nummer.»
Dass Vonn deshalb zuletzt wieder laut darüber nachdachte, einmal gegen Männer anzutreten zu wollen – am besten im November 2018 auf ihrem Lieblingsstrecke in Lake Louise – ist nicht verwunderlich.
Am Samstag auf der Kandahar in Garmisch war der Traum aber noch ganz weit weg. «Worte können nicht beschreiben, wie glücklich ich bin», schrieb Vonn bei Twitter. Das hatte sie davor aber ohnehin schon mit ihrem ungewöhnlichen Siegertanz und ganz vielen Tränen getan.
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(dpa)