Are – Ski-Star Mikaela Shiffrin hustete, ihre Stimme schwankte zwischen heiser, röchelnd und schrill, die Augen waren verheult und glasig. Die Amerikanerin gehörte eigentlich ins Bett.
Weil man aber um unzählige Interviews nicht herum kommt, wenn man gerade WM-Gold gewonnen und einen Rekord in der fast neun Jahrzehnte langen Historie des alpinen Skirennsports gebrochen hat, nahm Shiffrin noch einmal alle Kraft zusammen und erzählte vom famosen Abschluss bei dieser WM in Are. Es war ein Nachmittag, an dem sie zu krank schien, um Rennen zu fahren – dann aber doch eine 60 Sekunden lange Show bot, die andere Athletinnen selbst im gesunden Zustand nicht hinbekommen.
«Ich weiß nicht, ob das mein bester Sieg war», sagte die 23-Jährige, «aber auf jeden Fall einer der süßesten.» Die nackten Zahlen ließen business as usual vermuten: Shiffrin gewinnt einen Slalom mit großem Vorsprung und holt den nächsten großen Erfolg in ihrer Karriere. So weit so gewöhnlich. Einerseits aber gelang ihr in Schweden der vierte WM-Titel im Slalom nacheinander. Das hatte vor ihr niemand geschafft, nicht mal die deutsche Zwölffach-Weltmeisterin Christl Cranz in den 30er Jahren. Aber selbst Rekorde spielten für Shiffrin keine Rolle.
Es war ihre Gesundheit, die aus einem normalen Renntag ein großes Drama mit emotionalem Happy End machte. «Es hat sich manchmal fast so angefühlt, als würde ich ersticken», erzählte Shiffrin, die in ihrer Karriere schon oft von Nervosität vor großen Rennen überwältigt worden war, diesmal aber mit einem Infekt in der Lunge zu kämpfen hatte. «Auf halber Strecke ist mir der Sauerstoff ausgegangen und ich habe nur versucht, im Kurs zu bleiben. Das war beinahe beängstigend.»
Im Ziel sank sie erschöpft in den Schnee und wartete, wie die beiden noch nach ihr kommenden Fahrerinnen mit der vorgelegten Fabel-Zeit zurechtkommen. Natürlich kamen sie an die Bestzeit nicht mehr heran, die Schwedin Anna Swenn Larsson wurde Zweite, die nach dem ersten Lauf führende Wendy Holdener aus der Schweiz patzte grob und fiel weit zurück. Bronze ging an Petra Vlhova aus der Slowakei.
Sollte jemand befürchtet haben, dass dem alpinen Skirennsport nach dem Karriereende von Lindsey Vonn die großen Gefühle und Dramen fehlen werden, der kann seit Samstag wieder beruhigt sein.
Noch im Ziel brach Shiffrin in Tränen aus und fiel Emma Lundell um den Hals. Die junge Schwedin hatte sie im Dezember 2012 kennengelernt, als sie im Alter von 17 Jahren ihren ersten von mittlerweile 56 Weltcups gewann. Lundell litt damals an Leukämie, später besiegte sie den Krebs. «Du bist eine der größten Inspirationen, du bist fast wie ein Engel für mich», sagte Shiffrin auf der Bühne zu Lundell.
In dem Moment, den Shiffrin amerikanisch ausufernd zelebrierte, geriet der Slalom weit in den Hintergrund. «Irgendwie musste ich heute mehr weinen als sonst, das ist ein bisschen peinlich, aber es war sehr emotional», erzählte die beste Skirennfahrerin der Gegenwart. Gründe dafür gab es offenbar viele, das wollte sie aber nicht präzisieren. «Das ist das Leben, das ist der Sport.»
Die Skiwelt kann sich auf weitere Shiffrin-Shows einstellen, nach fünf WM-Titeln und zwei Olympiasiegen dürfte sie die Szene weiter dominieren. Ob sie nicht mal Lust hätte, gegen Männer zu fahren, wurde die 23-Jährige gefragt. Vonn hatte diesen Geschlechterkampf stets vergeblich angestrebt. «Das möchte ich nicht probieren», antwortete Shiffrin. Dabei wäre es schon interessant zu sehen, wie sich die Sportlerin in so einem Rennen schlägt, wenn sie ihre weibliche Konkurrenz selbst mit großer Atemnot so dominiert.
Fotocredits: Michael Kappeler
(dpa)