Lillehammer – Seinen größten Sieg hat Jens Weißflog auch 25 Jahre danach noch bei der täglichen Arbeit vor Augen. Dabei hat der Job des zweifachen Olympiasiegers von Lillehammer 1994 auf den ersten Blick gar nichts mehr mit Skispringen zu tun.
Anders als viele seiner früheren Konkurrenten und Nachfolger verdient der 54-Jährige nicht als Trainer oder TV-Experte sein Geld, sondern führt in seiner Heimat Oberwiesenthal ein Hotel.
Dem «schönsten Sieg meiner Laufbahn» hat Weißflog dort ein eigenes Appartement gewidmet – mit eingesticktem Fackelträger im Kissen und Informationen zur Olympia-Schanze. «Er lebt das Skispringen in seinem Hotel», sagt sein früherer Teamkollege Dieter Thoma. Im Restaurant sind Duplikate der Medaillen und Weißflogs original Startnummern ausgestellt. «Es geht darum, eine Geschichte zu erzählen», sagt Weißflog. Seine Geschichte.
Die ist aus Sicht des Sachsen allerdings nicht nur positiv. «Ich sehe Lillehammer zwar überwiegend mit blauem Himmel, aber auch mit einer Wolke», sagt er. Beim Team-Wettkampf mit Hansjörg Jäkle, Christof Duffner und Thoma hatte er auf dem Schanzenturm auf seinen Schluss-Sprung gewartet – und bei etwa 30 Metern Rückstand auf Japan Gold eigentlich schon abgeschrieben.
«Ich habe das Zwischenergebnis nach drei Springern auf dem Monitor gesehen und bin dann zum Masahiko Harada hin, habe ihm auf die Schulter geklopft und gesagt: „Congratulations“!» Der japanische Schlussspringer patzte, Deutschland gewann und Weißflog wurde als unfairer Sportler hingestellt. «Ich habe ihm nicht gratuliert, um ihn nervös zu machen, wie es mir von den Norwegern vorgeworfen wurde», sagt Weißflog und man merkt, wie ihn das Thema auch heute noch wurmt.
Drei Tage später pfiffen ihn viele Fans im Einzel von der Normalschanze aus, Weißflog verpasste als Vierter hinter Thoma knapp eine Medaille. «Nach dem Mannschaftsspringen hatten wir noch mit den Norwegern zusammen bei Thüringer Bratwurst und Bier gefeiert. Und drei Tage später pfeifen dich dann 30.000 Norweger aus. Das war ein krasser Gegensatz.»
Gegensätzlich verliefen auch die Lebenswege der DSV-Adler von Lillehammer. Während Thoma seinen Job als Fernseh-Experte begann und Jäkle und Duffner sich um den sportlichen Nachwuchs kümmerten, stand für Weißflog nach dem Athletenleben fest: Ein Trainer- oder Funktionärsjob kommt nicht infrage. Seine Experten-Tätigkeit im ZDF endete 2011. Weißflog schätzt die Beständigkeit in seinem Leben nach vielen Jahren auf Achse und mit zahlreichen Veränderungen.
Der «Floh vom Fichtelberg», wie man Weißflog wegen seiner Körpergröße zu aktiven Zeiten nannte, wurde durch die deutsche Vereinigung in zwei Gesellschaftssystemen Olympiasieger.
In seiner Sportart erlebte er die wohl bis heute größten Veränderungen mit: Die Umstellung vom Parallel- auf den V-Stil und gravierende Neuerungen bei der Ski-Bindung. «Die Bindungsumstellung hat der Jens sofort verstanden, das hat bei ihm sofort funktioniert», sagt Thoma anerkennend. Neben den drei Olympiasiegen stehen auch zwei WM-Titel, vier Gesamtsiege bei der Vierschanzentournee, ein Weltcupgesamtsieg und 33 Weltcup-Erfolge in Weißflogs Vita. Den großen Rummel an den Schanzen braucht er da nicht mehr. Er hat mit seinem Sport genug erlebt.
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(dpa)