St. Moritz – Eine Ski-WM ist für Gian Franco Kasper Routine – normalerweise. Die Titelkämpfe finden derzeit in der Heimatstadt des Skiweltverbands-Präsidenten statt. In St. Moritz schaut der Schweizer deswegen noch etwas genauer hin – und freut sich über das Publikum bislang.
«40 000 Zuschauer, obwohl das Ziel weit oberhalb vom Dorf ist und sie weit laufen müssen», erzählte er im Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Dieser Erfolg hat mich schon gewundert.» Daneben spricht der 73-Jährige über Vorschläge für künftige Weltmeisterschaften, Olympia 2024 und US-Präsident Donald Trump.
Wie zufrieden sind Sie bisher mit der WM hier in St. Moritz?
Gian
Franco Kasper: Wir hatten am Anfang etwas Wetterprobleme. Die Organisatoren haben sehr gut gearbeitet. Die Stimmung im Dorf ist gut, das ist in St. Moritz nicht so einfach. Am meisten erstaunt hat mich das Publikum. 40 000 Zuschauer, obwohl das Ziel weit oberhalb vom Dorf ist und sie weit laufen müssen. Zudem ist St. Moritz nicht in der Nähe einer Großstadt. Dieser Erfolg hat mich schon gewundert.
Ärgert es Sie in diesem Zusammenhang, dass die Bevölkerung gegen Olympische Winterspiele im Kanton Graubünden gestimmt hat?
Kasper: Das habe ich erwartet. Was mich aber ganz, ganz böse gemacht hat, war die Abstimmung in St. Moritz selbst, wo 57 Prozent Nein gesagt haben. Das ist nicht akzeptabel, umso mehr, weil die Abstimmung während der WM war, wo im Ort eine positive, sportliche Stimmung herrscht. Das habe ich nicht begriffen. Aber das ganze Konzept war so, dass man Verständnis hat, dass das Volk Nein sagt.
Was ist der Grund für die fehlende Begeisterung für Olympia?
Kasper: Für mich ist der Hauptgrund Sotschi. Nicht die Spiele, sondern die Zahlen, die veröffentlicht wurden: 51 Milliarden Dollar Kosten, das ist eine wahnsinnige Summe. Da bekommen die Steuerzahler Angst. Wobei diese Summe gar nicht so extrem ist. St. Moritz oder Garmisch-Partenkirchen sind über 150 Jahre gewachsen, und in diesem Zeitraum gab es massive Investitionen, viel mehr als 51 Milliarden Dollar. Die Russen haben innerhalb von fünf Jahren von Null auf Hundert gehen müssen, und das kostet eben Geld.
Gibt es im IOC ein Bewusstsein für die Sorgen und auch den Willen, darauf zu reagieren?
Kasper: Ich glaube, der Wille ist da. Über die persönlichen Ansichten meiner Kollegen im IOC kann ich nicht reden, aber man ist überzeugt, dass man weg muss vom Gigantismus. Die nächsten Winterspiele gehen in diese Richtung. Das werden, in Anführungszeichen, bescheidene Spiele in Korea. Das ist gut. Aber 2022 in China sieht es schon wieder anders aus. Da muss alles größer und teurer und noch extremer werden.
Wie bewerten Sie die Chance der Olympiabewerbung von Los Angeles als Stadt in einem Land, dessen Präsident sich fremdenfeindlich zeigt und sich von der Welt abschotten will?
Kasper: Ich glaube, dass das keinen direkten Einfluss hat. Die Abstimmung ist erst im September in Lima, bis dahin kann sich noch viel ändern. Wir haben drei gute Kandidaten, und ich glaube, es wird ein enges Rennen zwischen Paris und Los Angeles.
Also wird US-Präsident Donald Trump keine Rolle spielen?
Kasper: Das ist schwer zu sagen. Ich lasse mich nicht von Herrn Trump beeinflussen. Es geht mir um das Konzept und was der Organisator anbietet. Das rein auf die politische Ebene zu stellen, wäre falsch. Das IOC ist sportlicher eingestellt als man denkt.
Zurück zur Ski-WM: Die Kombinationsrennen waren spannend und Höhepunkte in St. Moritz. 2015 hatten Sie bereits gesagt, die Disziplin stärken zu wollen. In diesem Weltcup-Jahr gab es aber so wenige Kombinationen wie noch nie, und sogar die in Kitzbühel ist inzwischen Geschichte. Welche Zukunft hat diese Disziplin?
Kasper: Alle guten Skifahrer waren Kombinierer und haben da gewonnen. Zudem hat uns die Kombination geholfen, neue Nationen in die Speed-Events zu holen. Ich bin der Meinung, dass wir vier bis fünf Kombinationen im Weltcup-Kalender haben sollten. Dass dies aber nicht gelingt, daran ist der Papst Schuld. Papst Gregor hat beim Erstellen des gregorianischen Kalenders einfach zu wenige Wochenenden in den Winter gelegt. Wir haben ein Kalender-Problem.
Einige Fahrer wünschen sich den Herren-Slalom einer WM nicht am letzten Tag und damit ohne richtige Siegerehrung, sondern schon am Freitag als Nachtrennen unter Flutlicht. Was halten Sie davon?
Kasper: Am Abend zu fahren, da bin ich dagegen. Wir wollen mit dem Skisport Berge, blauen Himmel und Schnee zeigen. Im Dunkeln sieht man das nicht. Die Werbung für den Sport würde fehlen.
Woran lag es, dass in der ersten WM-Woche bei den schnellen Disziplinen einige Fahrer kleiner Nationen gestürzt sind?
Kasper: Ich glaube, dass sich viele Fahrer aus diesen Nationen überschätzen. Die haben eine WM im Kopf, riskieren alles, und die Konsequenz sind schwere Stürze. Aber das liegt an der Einstellung der Fahrer. Zu sagen, die haben keine Startberechtigung in der Abfahrt, das wäre falsch. Durch FIS-Punkte gibt es ja ein Limit. Das Risiko, dass sich der Athlet bei Titelkämpfen überschätzt, ist immer da.
Sollte man nicht die Teilnahme-Kriterien verschärfen?
Kasper: Man kann sich überlegen, ob man eine Qualifikation für die Abfahrt macht. Nicht unbedingt auf der WM-Strecke, sondern vorher. Das ist eine Möglichkeit. Aber in meinen Augen müssen sich auch Trainer und Athleten überlegen, wie viel Risiko können sie gehen.
Was wünschen Sie sich für die anstehenden Technik-Rennen?
Kasper: Schönes Wetter werden wir haben. Also wünsche ich mir Pisten, die halten, und natürlich die richtigen Leute als Gewinner.
Was trauen Sie den bislang noch erfolglosen Deutschen zu?
Kasper: Zumindest eine Medaille, hoffentlich Gold.
ZUR PERSON: Gian Franco Kasper (73) ist seit 1998 Präsident des Skiweltverbandes FIS, zuvor war er Generalsekretär. Seit 17 Jahren ist der Schweizer Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees, seit 2016 gar des Exekutiv-Komitees. Er wurde in St. Moritz geboren.
Fotocredits: Michael Kappeler
(dpa)