Oberstdorf – Der gefragteste Skispringer springt gar nicht. Weit mehr als ein Dutzend Fernsehkameras und Smartphones sind in Oberstdorf auf Andreas Wellinger gerichtet – und das, obwohl dem Olympiasieger nach seinem Kreuzbandriss bei der Vierschanzentournee nur die Rolle des Zuschauers und TV-Experten bleibt.
Gut gelaunt plaudert Wellinger mit Journalisten, scherzt mit seinem Sportlerkollegen Markus Eisenbichler. Er wirkt so gar nicht wie jemand, der seinen Job, der zugleich seine Leidenschaft ist, für eine ganze Saison nicht ausüben darf.
«Es ist nicht immer eine schöne Rolle als Zuschauer, aber doch eine interessante, weil man mal alles entspannt beobachten kann», sagte der 24-Jährige an der Schattenbergschanze beim Auftakt des Wintersport-Spektakels. Wellinger sieht es positiv. Jammern ist seine Sache nicht, auch wenn er zugibt: «Am Anfang fällt einem dermaßen der Hammer auf den Kopf. Da denkt man sich: „Scheiße!“»
Der Anfang, das war im Juni. Beim Training in Österreich zog sich Wellinger die Knieverletzung zu, die derzeit so vielen Skispringern zu schaffen macht. Wellinger wäre aber nicht Wellinger, wenn er nicht das Beste daraus machen würde. «Ich habe es relativ schnell und gut geschafft, dass ich die Herausforderung annehme», sagt der Bayer. Ein Blick auf sein Instagram-Konto zeigt einen fröhlichen und aktiven jungen Menschen. Die Verletzung ist kein großes Thema.
Skispringen kann er nicht, dann macht er halt ein Praktikum bei einem Sponsor, arbeitet an seinem Schanzen-Comeback und verfolgt seine Hobbys – Wellenreiten zum Beispiel. «Das tut ihm mal ganz gut», sagte Bundestrainer Stefan Horngacher der Deutschen Presse-Agentur. «Mal ein bisschen raus aus diesem extremen Spitzensport und reinhören in den Körper und sich in Ruhe vorbereiten.»
Teammanager Horst Hüttel hofft ebenfalls, dass Wellinger die Zwangspause nutzen kann. «Er wäre nicht der erste Athlet, der nach so einer Verletzung gestärkt rausgeht», sagte er. Schon vor seiner Verletzung lief es für Wellinger nicht wie gewünscht, die Karriereunterbrechung ist auch eine Chance zum Neuanfang.
Mit seinem Heilungsverlauf ist Wellinger zufrieden, eine Rückkehr in den Weltcup ist in diesem Winter dennoch keine Option mehr. «Das Problem ist: Wenn wir auf die Schanze gehen, dann gibt’s nur ganz oder gar nicht», erklärte er. «Ich kann keinen 50-Prozent-Sprung machen.» Wellinger muss sich komplett auf sein Knie verlassen können – und das braucht Zeit.
Menschlich und als Typ würde er den DSV-Adlern gut tun, daraus machen weder Hüttel noch Horngacher einen Hehl. «Er ist trotz des jungen Alters zu einem Taktgeber im Team geworden», sagte Hüttel. Für Horngacher ist Wellinger ein «Führungsspringer». Der Österreicher ist sich sicher: «Wir müssen noch ein Jahr warten, und dann wird er wieder da sein.»
Bis es soweit ist, wird Wellinger weiter am Comeback arbeiten und neue Eindrücke sammeln. Wenn seine Kollegen um Eisenbichler, mit dem er in Oberstdorf für ein Foto posierte, um Tournee-Ehren kämpfen, drückt ihnen Wellinger die Daumen. Traurig oder frustriert wirkt er trotz seiner Zuschauerrolle nicht. «Das Skispringen lebt in mir, deswegen bin ich gern da», versicherte er – und das klingt nicht einfach so dahergesagt.
Fotocredits: Daniel Karmann
(dpa)